Till Augustin
Glaskuben und Gordische Knoten
Die Jury des Forums Kultur der Metropolregion Nürnberg hat Bildhauer Till Augustin zum Künstler des Monats Juni der Metropolregion gewählt.
Ein Steinbildhauer, der einen Glasblock mit Hammer, Meißel und Pressluftmeißel bearbeitet? Der Nürnberger Bildhauer Till Augustin tut genau das mit Hilfe einer neuen Technik und entsprechendem Know-how. Seine Erfindung: Er verklebt industriell hergestellte 19 Millimeter dicke transparente Floatglasscheiben miteinander. Daraus entstehen stabile, aquamarin leuchtende Quader, die dann einer oftmals harrschen Bearbeitung ausgesetzt werden.
In diese geometrischen Gebilde arbeitet der Künstler Spuren ein und folgt dabei meist metrischen Systemen. Oft sind es Quadrate, die in unregelmäßiger Regelmäßigkeit die Oberfläche aufbrechen. Manchmal wird diese mittels spezieller Bürsten und Reibungshitze auch metallisiert und wirkt somit glänzend oder auch rostig-patiniert wie ein Eisenblock – ist aber aus Glas. Neben den so entstehenden Glaskuben, die als skulpturale Objekte im Raum stehen, sind auch Augustins Glasreliefs innovativ in Bearbeitung und Entstehung und zeigen neben abstrakten Gebilden weiche, verlaufende Formen, die an Topographien erinnern.
Die Materialwahl ist für Augustin klar: „Glas gibt es seit mehr als 3500 Jahren. Es ist ein Kulturwerkstoff, der mich herausfordert und für den ich ganz eigene Bearbeitungstechniken finde. Die Auswahl des Materials und die Art der Oberflächenbearbeitung helfen mir, meine Aussagen zu unterstreichen.“ Bewusst wählt der Bildhauer die Bearbeitung mit der Hand. Die Materialien geben vor, was er aus ihnen schaffen kann: Gesägt, sandgestrahlt, metallisiert, bemalt, verspiegelt, gebrochen, feuerverzinkt, patiniert, geschweißt, verknotet, gewickelt. Augustin bearbeitet seine Werke auf mannigfaltige Art. Mit Können, Innovation, aber auch mit Kraft und Technik entstehen Kunstwerke, die gekrümmt, gebogen oder zu Säulen werden, die den Betrachter durch Material, Form und Bearbeitung in ihren Bann ziehen, zuweilen aber auch durch ihre Sprödigkeit schroff abweisen.
Neben Glas verwendet Augustin Holz, Porzellan, Eisen, aber auch Stahl - in Form von Stahlseilen. Er glüht sie zunächst durch, um Fett und Verunreinigungen zu entfernen. Aber auch, um sie gefügig zu machen. Anschließend verleiht er ihnen in einem aufwändigen Prozess Form. „Es ist Schwerarbeit, 20 oder 30 Meter Stahlseil zu bewegen und zu formen. Manchmal brauche ich mehrere Helfer.“ Augustin hat die Idee im Kopf, legt den Inhalt fest, entwickelt die Form, skizziert, formt die Knotenbildungen und legt fest, wann der Endzustand erreicht ist. Zudem verleiht er den Skulpturen und Plastiken den letzten Schliff. „Das kann manchmal auch eine Macke sein. Alles, was zu perfekt ist, wird schnell langweilig. Spannung entsteht durch Unregelmäßigkeit.“ Die Enden der Seile werden verschweißt und so entsteht ein Körper, der nicht mehr zu öffnen ist - „endlose Verstrickungen“ ergeben sich. Durch ein spezielles Zinkbad werden diese Stahlplastiken in einer Art Hartlötverfahren verklebt und damit unverformbar. Verzinkte Stahlseilgebilde sind auch die Grundform für eine von Till Augustins Hauptwerkgruppen – die „Gordischen Knoten“.
„In meinen Werken sind oft Gegensätze vorhanden. Sie können im Material liegen, wie z. B. in den Glaskuben, deren Oberfläche aussieht als bestünden sie aus Eisen. Oder in der großen Spindel mit dem Titel „Die Schrift“. Sie ist aus Blei und Porzellan gefertigt, zeigt Zerstörerisches (Waffe) und Zerbrechliches (Porzellan). In der Schrift selbst liegt Macht, aber sie ist selbst auch immer wieder gefährdet, wie die Geschichte uns vor Augen führt“, erläutert der Künstler. Er testet gerne, ob seine gestalterische Sprache beim Betrachter ankommt. „Wenn ich an die Öffentlichkeit gehe, will ich ohne Berufsexegeten verstanden werden.“
Augustin ist Mitglied der Darmstädter Sezession, die aktuell in einer 100 Tage dauernden Ausstellung ihr 100-jähriges Bestehen feiert. Der Nürnberger Künstler liefert mit der überdimensionalen Porzellan-Spindel und anderen Werken seinen Beitrag. Regelmäßig ist er auf Kunstmessen in aller Welt unterwegs und wird von vielen Galeristen vertreten.
In Nürnberg sind nur wenige von Augustins Werken zu sehen: Auf AEG vor der Kulturwerkstatt eine Arbeit mit Stahlkugeln, in Erlangen mehrere Plastiken auf dem Unigelände. Seine Sammler sind in ganz Deutschland verstreut, viele auch im Ausland, vor allem in der Schweiz. Zuletzt war seine Arbeit „Faden der Ariadne“ auf der Schweizerischen Skulpturen-Triennale in Bad Ragaz zu sehen. Seine Arbeiten erfahren international große Wertschätzung - bei Bestellungen sind Wartezeiten von bis zu einem Jahr keine Seltenheit.
Die Entstehung von Augustins Werken und die beeindruckenden Arbeitsvorgänge sind auf der Internetseite des Künstlers www.tillaugustin.de eindrücklich beschrieben.
Sandra Hoffmann-Rivero
Foto: Till Augustin